Für eine Bergtour müsst ihr nicht in die Alpen – auch in Norddeutschland gibt es gute Wanderreviere, die euch Gipfelglück und beste Ausblicke bescheren. Da ist zum Beispiel der Harz, der mit einem dichten und gut ausgebauten Wegenetz von entspannten Kind-und-Kegel-Spaziergängen bis zu konditionell fordernden Mehrtages-Touren tolle Naturerlebnisse bietet.
Bergwandern im Harz? Zugegeben, nennenswerte Erhebungen kann das norddeutsche Mittelgebirge kaum vorweisen. Nur ein einziger Gipfel überschreitet die magische 1000-Meter-Marke. Und selbst den würde ein Bayer vermutlich einen Hügel schimpfen: Die Rede ist vom Brocken. Für den stolzen Fels könnte man sich wohl einen klangvolleren Namen wünschen, doch im Niedersächsischen erheben sich auch der Köter-, Höllen- und Mordkuhlenberg, vom Hungerberg gar nicht zu reden, da muss man mit dieser Benennung zufrieden sein. Ehrlicherweise sei gesagt: Der Name passt auch ganz gut zu der riesenhaften Kuppe. Und gleich viel schmeichelhafter klingt Blocksberg, so wird der Brocken hier auch genannt.
Zunächst ein paar harte Fakten: 1141,2 Meter hoch ist der Brocken, auf dem Gipfel herrscht an rund 300 Tagen Nebel, an 178 Tagen liegt Schnee. Die Durchschnittstemperatur im Juli beträgt 10,3 Grad, die höchste gemessene Windgeschwindigkeit waren 263 km/h. So richtig sexy klingt das alles erstmal nicht – und doch gibt es viele gute Gründe, den nördlichsten Eintausender Deutschlands zu erklimmen. Mangelnde Superlative werden dort durch Landschafts- und Wandergenuss locker wettgemacht. Und Mountainbiker und Tourenradler kommen im Harz genauso auf ihre Kosten wie Wanderer und Hobby-Botaniker, im Winter zudem Ski- und Snowboardfahrer, ferner Geschichtslehrer und Freunde des Mystischen. Doch dazu später mehr.
Rund zehn Prozent des Harzes sind Nationalpark, der von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gemeinsam geführt wird. Der Brocken ist sachsen-anhaltinisches Terrain. Von Ilsenburg, Schierke, Elend, Torfhaus und Oderbrück führen Wanderwege über die Flanken hinauf. Zur Wahl stehen dabei diverse Routen-Optionen, längere und kürzere, mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Knapp fünf Kilometer misst die kürzeste Wanderung, rund 26 Kilometer die längste. Wer mag, wandelt auf den Spuren großer Dichter und besteigt den Berg auf demselben Weg wie einst Heinrich Heine oder Johann Wolfgang von Goethe.
Unsere Wanderung beginnt in Schierke. Mit nur fünf Kilometern ist diese Route nicht lang, aber eine der anspruchsvolleren Varianten. Zunächst folgen wir einem Forstweg, sind bald darauf aber auf einem schmalen Pfad unterwegs. Wir lassen uns Zeit, genießen den stillen Wald und die sich immer wieder auftuenden Ausblicke. Ein kleiner, sehr lohnenswerter Schlenker führt über den Urwaldstieg. Das ist ein Holzbohlenweg durch ein Waldstück, das sich selbst überlassen ist: Hier regiert die Natur, kein Förster. Auf den ersten Blick ein ungewohntes Bild, dieses Durcheinander alter, absterbender und umgestürzter Bäume, zwischen denen ganz junge sprießen. Ein echter Urwald eben, in dem die Natur in all ihren Entwicklungsstadien zu sehen ist.
Schließlich mündet der Weg in die sogenannte „Brockenchaussee“, eine asphaltierte Piste, die sich Wanderer, Radler und Pferdekutschen auf den letzten Kilometern hoch zum Gipfel teilen. Dass die höchste Erhebung im Harz ein äußerst beliebtes Ausflugsziel ist, merkt man erst jetzt – bis hierhin waren wir fast allein unterwegs, jetzt schwimmen wir im Strom der Naturfreunde mit. Erst kurz vor dem Gipfel durchbricht der Berg die Waldgrenze. Noch zwei, drei Biegungen, auf die ein letzter, kurzer Anstieg folgt, dann stehen wir oben.
Im Vergleich zu alpinen Gebirgen hat der Brocken so seine Vorzüge. Vor allem den, dass hier wirklich jeder zum Gipfel-Glück kommt. Auf Wunsch sogar bequem sitzend in den nostalgischen Waggons der Brockenbahn, von einer schnaufenden Dampflok den Berg hinauf gezogen. Nur falls ihr euch wundert, wie es die sandalentragenden Seniorenverbände so munter bis nach oben geschafft haben.
Während so mancher Berggipfel kaum mehr ist als ein schroffer Felssporn, auf dem gerade mal zwei einsame Wanderer und das Gipfelkreuz Platz finden, ist das breite Gipfelplateau des Brocken ausreichend für einen veritablen Festplatz. In der Mitte thront ein dicker Felsen. Mit ihm, so steht’s auf der daran angebrachten Messingtafel, misst der Berg stolze 1142 Meter. Zeit für das obligatorische Gipfelfoto. Wir haben einen der statistisch wenigen Tage ohne Nebel erwischt – und werden mit einer phänomenalen Fernsicht beglückt. Bis zum Thüringer Wald und ins Erzgebirge reicht der Blick.
Nicht immer konnte der Brocken bestiegen werden. Zu Zeiten des geteilten Deutschlands lag der Berg im Staatsgebiet der DDR und war Sperrgebiet. Ein Lauschposten ganz oben horchte ins Feindesland. Noch heute finden sich davon einige Spuren, und das Brockenmuseum im ehemaligen Lausch-Turm erzählt von der Geschichte. Einzigartig ist auch der bereits 1890 angelegte botanische Garten auf dem Gipfelplateau. Hier sprießen rund 1500 alpine Pflanzenarten, die sonst nur in den Hochgebirgsregionen der Welt zu finden sind. Sie stammen aus dem Himalaya, den Pyrenäen oder den Rocky Mountains – manche aber gedeihen nur hier am Brocken.
Für den Abstieg wählen wir den Eckerlochstieg, einen schmalen und anspruchsvollen Weg, der Trittsicherheit erfordert. Über große Steine und Felsen geht es an einem wilden Bachlauf entlang. Über 500 Höhenmeter windet sich der stellenweise ziemlich steile, unwegsame Pfad durch dichten Wald bergab, hier herrscht eine beinah geheimnisvolle Stimmung.
Der Harz bietet viele mythische, sagenumwobene Orte. Seit tausend Jahren wird in den umliegenden Orten die Walpurgisnacht mit eindrucksvollen Hexen-Festen begangen, die auf dem Besen reitende Hexe ist auch zu einem Markenzeichen der Region geworden. Warum ausgerechnet in dieser Region allerlei Sagen und Mythen, Märchen und Fabeln existieren, leuchtet jedem ein, der die wie verzaubert wirkenden Märchenwälder durchwandert.
Eine letzte Rast am Ufer eines kleinen Bächleins, auf den moosigen Steinen sitzend stecken wir die heißgelaufenen Füße in den erfrischend kühlen Wasserlauf. Vögel zwitschern, es plätschert und gluckert leise, Blätter rauschen sanft im Wind. Friedlich ist es hier, ein echter Kraftort. In wenigen Minuten tanken wir kräftig Energie für den kommenden Alltag. Und schweben nahezu das letzte Stück Weges zurück ins Tal.
Im Harz warten noch viele weitere Wander- und Naturerlebnisse, viele schöne Orte und Plätze – mehr Infos findet ihr hier.
Der Brocken ist mit 1141 Metern der höchste Berg Norddeutschlands. Zum Gipfel geht es auf vielen Wanderwegen, aber auch ganz bequem mit der Brockenbahn hinauf. Im Winter ist der Harz zudem ein tolles Skigebiet.