Gebannt schauen alle auf das Storchennest. Ein Prachtexemplar der großen Schreitvögel steht in der Mitte, ein Bein angewinkelt und scheint verträumt in den Himmel zu schauen. Wir Menschen im Aussichtsturm dagegen starren unablässig auf den Rand des Nestes. Angeblich sollen sich darin zwei Küken befinden.
Und tatsächlich: Plötzlich erscheint ein graues Köpfchen mit schwarzem Schnabel. Die Federn stehen dem kleinen Vogel strubbelig vom Körper. Gierig reckt er sein Haupt in die Höhe und bettelt um etwas zu fressen. „Ohhhh, da! Guckt mal!“, geht ein Raunen durch die Zuschauermenge und Zufriedenheit macht sich auf den Gesichtern breit.
Wir sind im Naturpark Zwin ganz im Norden von Flandern bei der kleinen Küstenstadt Knokke-Heist. Das Naturschutzgebiet war eines der ersten in Flandern und wurde bereits 1952 vom Grafen Léon Lippens gegründet, der ein großer Naturfreund und Vogelkenner war. Ursprünglich befand sich auf dem Gelände der Königliche Garten, in dem der Graf Käfige aufstellen ließ, wo unter anderem Singvögel, Möwen und Raubvögel präsentiert wurden.
2006 wurde der Naturpark dann grundlegend umgebaut: Die Käfige verschwanden und stattdessen entstanden Hütten, an denen Besucher mittels Tafeln und Audioguides Infos zu den einzelnen Arten erhalten. Alle Tiere sind nun frei und kommen und gehen, wie es ihrem Naturell entspricht. 2016 wurde der Naturpark neu eröffnet unter dem schönen Motto: „Der internationale Flughafen der Vögel.“
Über das 150 Hektar große Gebiet verlaufen mehrere Rundwanderwege, die jeweils zwischen einem und zwei Kilometer lang sind und dank nur kleinerer Steigungen auch gut für Familien taugen. Einer dieser Wege ist der Hüttenparcours: Er beginnt direkt am Besucherzentrum mit seiner netten Indoor-Ausstellung, wo auch interaktiv über den Werdegang der Vögel und ihre Wanderrouten informiert wird.
Dann führt der Weg vorbei an kleinen Hütten und Seen, die von Schilf umgeben sind, durch Wälder und hinauf auf den Deich. „In der Hochsaison wartet an jeder Hütte ein Guide auf Besucher“, erzählt Ina De Wasch, Direktorin des Naturparks, „die erklären den Leuten, welche Vögel sie an dieser Station sehen können.“
Unterwegs heißt es dann: Augen und Ohren auf! Jedes Jahr lassen sich viele tausend Vögel im Zwin nieder, um nach Nahrung zu suchen, zu brüten oder zu überwintern. Zu den Arten, die fast immer in diesem Gebiet zu sehen sind, gehören der Kormoran, der Storch, der Brachvogel, der Austernfischer, der Rotschenkel, die Graugans, der Seidenreiher, die Lachmöwe und der Turmfalke. Mit ein wenig Glück könnt ihr viele dieser Vögel auf dem Rundweg beobachten. Nicht so oft, aber immer wieder lassen sich auch Feldlerche, Säbelschnäbler und Brandgans hier blicken.
Wer lieber ganz ohne wissenschaftlichen Input wandern möchte, der kann einen der Rundwege über das Flachland wählen. Dieses Gebiet ist ein sogenannter Groden, eine Fläche, die bei Sturm- oder Springfluten überspült wird, jedoch nicht regelmäßig unter Wasser steht. Hier wachsen etliche seltene und salzresistente Pflanzen, wie die Strand-Grasnelke oder das Tausendgüldenkraut.
Diese und weitere Arten könnt ihr bei einem Spaziergang zwischen Meer und Deichen entdecken – und natürlich auch hier viele Tiere beobachten. Egal für welche Wanderung ihr euch entscheidet, auf dem Rückweg zum Parkplatz lohnt auf jeden Fall ein Besuch im Aussichtsturm am Storchennest – vielleicht habt ihr ja Glück und könnt einen Blick auf den Nachwuchs der großen Vögel erhaschen.
Öffnungszeiten, Karten und mehr Infos findet ihr hier.
Das Naturschutzgebiet mit Besucherzentrum liegt ganz im Norden von Flandern, direkt an der niederländischen Grenze beim Ort Knokke-Heist (rund 33.000 Einwohner). Es umfasst 150 Hektar, wovon 25 auf niederländischer Seite liegen.