Zwei, drei Spatenstiche, dann noch ein letzter beherzter Griff tief hinein in den warmen feuchten Sand und als wäre das Loch am Strand ein Zauberhut, zappelt es darin plötzlich voller Babyschildkröten. Mit dem Sand an den winzigen Körpern sehen die Kleinen aus wie paniert. Geburtshelfer Melvyn Tennant, den sie an der Oracabessa Bay längst den „Schildkröten-Mann“ nennen, schaut zufrieden.
2004 machte es der Lehrer im Ruhestand wie viele Pensionisten aus England und tauschte den Regen daheim gegen die sonnigen und warmen kleinen Fluchten, die der Commonwealth so zu bieten hat. An der Nordküste Jamaikas kaufte er ein Haus, doch statt die Zeit mit Bridge und Tea Time totzuschlagen, betätigt er sich als Hebamme und Schutzpatron für Schildkröten.
Zwei der Besucher, die an diesem Abend an den Gibraltar Beach gekommen sind, werden auch gleich eingespannt. Die kleinen Karettschildkröten müssen gezählt werden, indem sie vorsichtig aus dem Loch geholt und in einem Eimer zwischengelagert werden. Tennant beobachtet aufmerksam, wie die beiden kleinen Mädchen die Tierchen vorsichtig hinaufholen. „Meeresschildkröten gab es vor den Küsten Jamaikas früher reichlich, aber Bebauung der Strände und die Jagd hätten die meisten Arten an den Rand der Ausrottung gebracht.“ Besonders die Atlantische und die Unechte Karettschildkröte sowie die Grüne Meeresschildkröte seien gefährdet, doziert Tennant.
Mit den lokalen Behörden und Fischern rief er das Oracabessa Bay Fish Sanctuary ins Leben, das sich seither für den nachhaltigen Schutz der Region einsetzt. Mit Erfolg. Die Schildkröten sind streng geschützt und „Fischer bekommen sogar Prämien, wenn sie Gelege melden.“ Sein Haus steht gleich im dichten Urwald über Gibraltar Beach, wohl auch deshalb ist „sein Strand“ der bestbewachte. In der Hochsaison im Herbst liegt er hier jede Nacht auf der Lauer und beobachtet, wie schwerfällige Schildkröten-Damen sich den Strand hochschleppen und das Loch für ihre Eier buddeln.
Nach 50 Tagen wird es dann ernst für die Kleinen. Der Sinn der Buddelaktion: „Würde man die Babys sich selbst überlassen, schafften es gerade einmal fünf Prozent eines Geleges bis ins Meer“, so Tennant. „Der Rest wäre ein willkommener Snack für Eidechsen, Möwen, Krabben und Krähen.“ Unter menschlicher Obhut sind es fast 100 Prozent Erfolgsquote! Bis zu 20.000 Schildkröten verhelfen Tennant und sein Team jedes Jahr über die kritischen ersten Stunden.
126 kleine Karettschildkröten erblicken an diesem Abend das Licht der Welt und danach ihre neue Heimat. Ein kurzer Blick auf den blauen Horizont und dann die Flossen hoch für die wichtigsten 100 Meter des Lebens, beschützt und neugierig beobachtet von dem Spalier der Touristen. Auf dem Weg zum Meer prägen sich die Tiere den Ort ihrer Geburt mit Hilfe einer hochpräzisen Magnetfeldortung ein, erklärt der Schildkröten-Mann. „15 Jahre später kommen die Männchen zur Paarung an diese Küste zurück und die Weibchen legen genau an diesem Strand ihre Eier ab.“
Ocho Rios an Jamaikas Nordküste hat viele schöne Strände zu bieten. Die von Oracabessa Bay sind den Schildkröten vorbehalten. Abends, kurz nach Sonnenuntergang kann man dabei sein, wenn eine neue Krabbelgruppe aus dem Sand geholt wird. Infos und Termine unter www.oracabessafishsanctuary.org
Oracabessa ist eine kleine Stadt in St. Mary, 16 Kilometer östlich von Ocho Rios