Gemächlich tuckert das schmale Boot über den Fluss Leie, quer durch die pittoreske Altstadt von Gent und vorbei an den mittelalterlichen Gildehäusern an der Graslei. Egal ob mit einer motorisierten Barkasse, mit dem Schlauchboot oder per Kanu – eine Bootsfahrt auf den hiesigen Wasserstraßen ist die wohl entspannteste Art, diese Stadt zu entdecken. Die Leie ist die Lebensader der Stadt, schlängelt sich durch die City hindurch und verbindet sie mit der Schelde und dem Seekanal Gent–Terneuzen, der zur Nordsee führt. Bis heute dient sie als viel genutzter Transportweg, mittlerweile jedoch weniger für Handelsgüter als für Touristen.
„Kopf einziehen“, mahnt die Bootsführerin, als es unter der niedrigen Hoofdbrug hindurchgeht. Und erzählt später, dass dort früher Hinrichtungen stattfanden, weshalb sie auch Enthauptungsbrücke heißt – ein schauriger Gedanke. Passenderweise erhebt sich gleich hinter der Brücke die mächtige und noch immer furchteinflößende Burg Gravensteen. Seit mehr als 1100 Jahren thront das imposante, von Wasser umsäumte steinerne Bauwerk hier am Zusammenfluss von Leie und Lieve. Die wehrhaften Mauern der Wasserburg ragen ein gutes Stück über die umliegenden Fachwerkbauten hinaus.
Gent hat sein im Mittelalter geprägtes Gesicht bewahrt, nur Ritter und ihre Streitpferde fehlen in diesem Bild. An manchen Hausecken sind noch einzelne herausragende Steinblöcke in Fußhöhe zu sehen – die dienten einst dazu, sich bequemer auf sein Ross schwingen zu können. Ganz klar: Die schmalen Gassen sind nicht für Autos konzipiert, und konsequenterweise wurde schon vor Jahren der Autoverkehr aus der historischen Innenstadt ausgesperrt. Heute ist sie von Radlern geprägt, die in halsbrecherischer Fahrt über das Kopfsteinpflaster holpern. Tipp: Durch die Altstadt touren kostenlose Minibusse, die auf Handzeichen anhalten und den Fahrgast auch an beliebigen Stellen wieder aussteigen lassen.
Rund eine Viertelmillion Einwohner zählt Gent und ist damit die drittgrößte belgische Stadt. Dass mehr als 60.000 davon Studenten sind zählt sicher zu den Gründen, warum sich hier, in dieser mittelalterlichen Kulisse, so viel modernes, zeitgeistiges und urbanes Leben abspielt. Die Genter waren schon immer etwas anders, stellten sich gern quer gegen geltende Konventionen und althergebrachte Denkweisen.
Zur heutigen Blüte maßgeblich beigetragen hat aber auch geschicktes Stadtentwicklungs-Management, in dem neuen, alternativen und ungewohnten Ideen Raum gegeben wird. So hat Gent als eine der ersten Städte überhaupt einen Veggie-Tag eingeführt und verzeichnet eine Vielzahl an vegetarischen Restaurants. Und noch immer ist es ein Ort, an dem sich junge Kreative austoben und ihre Träume verwirklichen können – denn hier gibt es auch noch immer den einen oder anderen „Lost Place“, der sich in eine Bar, ein Restaurant oder einen Laden verwandeln lässt.
In vielen der jahrhundertealten Gebäude sind nun junge Macher am Werk, andere Geschäfte wiederum wirken wie aus der Zeit gefallen – und passen dann doch irgendwie ganz wunderbar ins Hier und Heute. Etwa der kleine Senfladen Tierenteyn-Verlent am Groentenmarkt: Den gibt es schon seit 1790, das „Riiing“ der Türklingel markiert den Übertritt in die Welt von Anno dazumal. Der hausgemachte Senf wird von der weißgeschürzten Verkäuferin bedächtig aus einem Holzfass geschöpft und in Gläser abgefüllt, die Regale sind mit weiteren Senfspezialitäten gefüllt.
Abends zeigt sich Gent noch einmal anders und offenbart seine ganz romantische Seite – die Altstadt wird in ein Lichtermeer getaucht, die historischen Fassaden aufwändig illuminiert in Szene gesetzt. Ein Spaziergang durch die Straßen ist dann noch einmal doppelt so schön.
Am steinernen Kai der Korenlei und der gegenüberliegenden Graslei haben sich jetzt die Nachtschwärmer auf die Ufermauern gesetzt, hören Musik oder machen welche, verliebte Pärchen turteln leise, während die ältere Generation in zweiter Reihe und etwas bequemer in den Stühlen der Restaurants Platz genommen hat. Gent wurde einmal zur „gemütlichsten Stadt Flanderns“ gekürt – wer einmal abends am alten Hafen gesessen hat, der weiß warum.
Graslei und Korenlei heißen die beiden Ufer des Flusses am alten Hafen in der Altstadt von Gent. Nicht nur die Bars und Restaurants, auch die Kaimauern sind schöne Plätze zum Relaxen.
Die im frühen Mittelalter errichtete Burg ist täglich zu besichtigen – und beherbergt unter anderem ein Museum mit Folterinstrumenten.
Am Groentenmarkt liegt das kleine, feine Senfgeschäft Tierenteyn-Verlent – und noch viele andere Geschäfte, die Genter Leckereien anbieten.