Gemächlich schippert das kleine Boot mit dem Sonnendach über den Fluss. Unsere Blicke sind starr auf das trübe, fast stehende Wasser gerichtet, in der Erwartung, dass wir gleich unsere erste frei lebende Wasserschildkröte zu Gesicht bekommen. Doch zwischen den vielen Blättern, die auf dem Fluss treiben, ist es fast unmöglich, etwas zu erkennen. Plötzlich ruft unser Kapitän und zeigt hektisch auf das Ufer. Da wir kein bulgarisch sprechen, wissen wir zuerst nicht, was er meint. Doch dann schießt ein blauer Fleck knapp über dem Wasser entlang und ein paar Meter vor unserem Boot her– ein Eisvogel! Hier am Mündungsdelta des Ropotamo-Flusses haben diese kleinen, blitzschnellen Vögel ein paradiesisches Zuhause gefunden.
Das Gebiet rund um den Fluss ist urwaldartig mit hohen Bäumen, Lianen und anderen Rankpflanzen bewachsen und bietet vielen Tierarten Schutz, zum Beispiel Rotwild und Damwild, Fischottern, Füchsen, Schakalen und Wildschweinen. „Mit seiner Fläche von etwa 1.000 Hektar ist das Reservat Ropotamo eines der größten Schutzgebiete in Bulgarien“, erzählt uns unsere Reiseleiterin Kristalina, während wir langsam durch diese verwunschene Landschaft schippern, im Hintergrund die hohen Berge des Strandža-Gebirges.
Die Mündung dieses „Amazonas Bulgariens“, wie der Ropotamo auch gerne genannt wird, liegt zwischen Djuni und Primorsko. Folgt man der Hauptstraße 99, kommt man auf halber Strecke über eine Brücke. Von dort aus kann man die Boote für die Flussfahrt schon liegen sehen. Kurz nach der Brücke gibt es rechts einen Parkplatz. Hier beginnt auch ein Naturlehrpfad, von dem aus man Zugvögel beobachten und am Weg seltene Pflanzen, wie die Sandlilie, sehen kann. Von hier aus sind es nur noch ein paar Meter zur Anlegestelle der Boote. Bestimmte Fahrtzeiten gibt es nicht, sie fahren immer dann, wenn genug Passagiere gefunden sind. Eine 30-minütige Fahrt kostet etwa zehn Leva für Erwachsene, umgerechnet etwa fünf Euro.
Entlang der bulgarischen Schwarzmeerküste gibt es zahlreiche kleine Naturschutzgebiete. Oft umgeben sie archäologische Ausgrabungsstätten mit Hinterlassenschaften der Römer, Griechen und Thraker. Auf den Ruinen von Burgen oder Grabstätten wachsen seltene Pflanzen, wie die Hellgelbe Schafgarbe, die Walzen-Wolfsmilch oder der Steppenschleier-Strandflieder. Besonders schön kann man diese Pflanzen im Naturschutzgebiet Jailata sehen. Hier gibt es eine alte Siedlung der Skythen mit Naturhöhlen und Grabstätten. Die Skythen waren ein Nomadenvolk des 8. Jahrhunderts. Die Küste hier ist steil: Die gelbroten Kalksteinfelsen, teilweise mehr als 100 Meter hoch, bilden einen beeindruckenden Kontrast zum dunkel- bis türkisblauen Wasser.
„Naturschutz in Bulgarien ist nicht vergleichbar mit dem Naturschutz wie ihr ihn in Deutschland kennt“, erzählt uns Kristalina. Ranger gibt es nicht. Hier übernehmen Reiseleiter die Aufklärung der Gäste. Sie versuchen, ihnen die Einzigartigkeit der Landschaft näherzubringen und diese so auch zu schützen. „Noch vor ein paar Jahren war es möglich, einem Naturschutzgebiet seinen Status abzuerkennen und die Fläche mit großen Ferienanlagen zu bebauen. Heute geht das zum Glück nicht mehr“, erklärt uns Kristalina. Doch versucht haben es viele, vor allem private Investoren, denn der Tourismus hier an der Küste boomt gewaltig.
„Diesen Aufschwung merken wir Guides auch“, erzählt Kristalina. Im Sommer sind sie und ihre Kollegen jeden Tag mit Urlaubern unterwegs. Und: „Die Bootsfahrt auf dem Ropotamo gehört zu den beliebtesten Touren.“ Wir haben mittlerweile die Rückfahrt angetreten. Immer noch suchen wir nach einer Wasserschildkröte. Zu gerne hätten wir eine gesehen, doch in dem von Laub bedeckten Wasser scheint das fast unmöglich. Kristalina aber kennt sich aus – sie sucht das Ufer ab und tatsächlich: Was auf den ersten flüchtigen Blick wie ein Stein aussieht, entpuppt sich als Schildkröte. „Es ist eine Kaspische Wasserschildkröte. Die sind eine Rarität hier“, jubelt unsere Reiseleiterin. Eine Weile beobachten wir die Schildkröte, die sich genüsslich am Ufer sonnt. Von unserem Boot lässt sie sich nicht stören – und wir genießen einfach nur diesen einzigartigen Moment am Amazonas Bulgariens.
Eine Fahrt durch den Naturpark Strandža. Er umfasst 54 Quadratkilometer Fläche in nicht zusammenhängenden Gebieten des Strandža-Gebirges. „Die Gebiete unterliegen einem abgestuften Schutzregime: Einige dürfen überhaupt nicht betreten werden, andere sind Naturdenkmäler, Reservate oder historische Monumente“, so Kristalina. Wie zum Beispiel das Dorf Brashlyan. Hier stehen viele typisch bulgarische Häuser, wie sie früher gebaut wurden: Unten aus Stein und oben aus Holz. Im unteren Geschoss gab es Lageräume und Ställe für das Vieh, oben lebten die Menschen. Die Häuser in Brashlyan stehen heute unter Denkmalschutz.
Nicht weit von Jailata entfernt liegt das Kap Kaliakra. Auch hier gibt es archäologisch viel zu sehen: Vor langer Zeit war das die Hauptstadt des alten örtlichen bulgarischen Herrschers Dobrotitza. Die ganze Stadt und die Festung wurden etwa um 1361 n. Chr. von den türkischen Eroberern verbrannt und vernichtet. Heute wachsen hier wieder viele besondere Pflanzenarten, weshalb auch dieses Gebiet unter Naturschutz steht.
Der Naturschutzkomplex Ropotamo befindet sich ca. 10 km südlich von Sosopol. Es ist eines der größten Naturschutzgebiete in Bulgarien und bietet vielen gefährdeten Tier- und Pflanzenarten Schutz.