„Während meiner Buchhändler-Lehre“, erzählt Beate Kister, „bin ich nach der Arbeit oft über die Krämerbrücke geschlendert und habe mir vorgestellt, wie glücklich ich sein müsste, wenn ich hier wohnen könnte.“ Heute ist die Frau, die oft ein knallrotes Tuch im Haar trägt, Malerin – und Mieterin im Haus mit der Anschrift Krämerbrücke 25. Schon 1996 ging ihr Lebenstraum in Erfüllung, seit über 20 Jahren wohnt Beate Kister nun schon auf der Gera – und malt mit Aquarellstiften Bilder mit Tieren und Fabelwesen. Ihr kleiner Laden ist eigentlich nur ein Fenster mit einer Klingel. Wenn es bimmelt, kommt sie nach vorn.
32 Fachwerkhäuser stehen auf der Krämerbrücke, und fast alle gehören der Stadt. Einfach so mieten kann man hier nichts. Man muss einen Antrag stellen. Bevorzugt werden ungewöhnliche Geschäftsideen, Kunsthandwerker, Kreative. Und so gibt es mitten in Erfurt, was anderswo nicht gelungen ist: ein Kleinod ohne Modeläden-Filialen, Kaffeeketten und Souvenirbuden. Jeder Laden ist eine kleine Welt für sich: Linkshänder-Geschäft, Schmuckdesign, Galerie, Keramik, Antiquitäten Buchladen, Feinkost, Schokoladen-Manufaktur, Thüringer Spezialitäten – die Krämerbrücke ist ein Ort, an dem die Händler nicht aufs schnelle Geld aus sind, sondern an einem geglückten Lebensentwurf basteln.
Man muss aber auch wissen, auf was man sich einlässt, wenn man auf der Krämerbrücke wohnen möchte. Denn im im Sommer bummeln bis zu 5000 Touristen täglich über die Brücke. Tagsüber gehört sie der großen, weiten Welt. Und wenn man die Haustüre nur kurz offen stehen lässt, werden ein paar Menschen herein gespült, die sehen möchten, wie so ein hutzeliges Fachwerkhäuschen wohl von innen ausschaut.
Puppenbauer Martin Gobsch freut sich über Besuch in seiner Werkstatt – man kann ihm beim Schnitzen der Marionetten zusehen. Nebenan hat „Erfurter Blau“ aufgemacht, eine Boutique, die u. a. mit Waid gefärbte Schals und Tücher führt. Im Haus Nr. 19 verkauft Bettina Vick Thüringer Spezialitäten. Biegt man am Ende der Krämerbrücke in die Kreuzgasse ein, umschmeichelt Brötchenduft die Nase. Dort hat eine historische Backstube eröffnet, in der die Bäcker nicht um 5 Uhr anfangen, dafür aber alle Brote und Brötchen mit natürlichen Zutaten im Steinbackofen backen – was die Kundschaft freut. Und so akzeptiert sie auch, dass es das erste Brötchen erst so gegen 9.30 Uhr gibt.
Die Krämerbrücke und die Gassen drumherum stecken voller Geschichten. Wenn etwa Alex Kühn, der Erfinder der Goldhelm-Schokolade, erzählt, wie er auf der Krämerbrücke seine erste Schokolade auf Marmorstein gegossen hat, weil für Formen das Geld fehlte – dann kann man sich das einfach nicht mehr vorstellen. Der Mann führt ein mittelgroßes Unternehmen, macht neben Schokolade auch unglaublich leckeres Eis, Kuchen, Likör und inszeniert kulinarische Events. Sein jüngstes Projekt: die Krämerhaus-Pension mit vier Apartment-Suiten – natürlich direkt auf der altehrwürdigen Brücke.
Etwa 50 Menschen wohnen auf der Krämerbrücke und jeder kennt jeden. Chocolatier Kühn hat dort sogar Familie. Sein Bruder macht die „Mundlandung“, einen Feinkostladen mit Bistro – wo man selbst am Abend noch einen Wein trinken kann. Denn der Tag dauert nicht so lange, hier auf dem Wasser. Während hinter der Brücke an der Gera viele Leute am Ufermäuerchen hocken, wird es zwischen 18 und 19 Uhr still auf der Brücke. Die Läden schließen, die große, weite Welt zieht sich zurück. Der Mikrokosmos beleibt sich überlassen. Regeneriert. Schöpft Atem.
Die Landeshauptstadt hat eine sehenswerte Altstadt mit vielen gemütlichen Gassen zum Bummeln, die weltberühmte Krämerbrücke – und mit dem Dom und der Severi-Kirche am Domplatz gleich zwei beeindruckende Kirchen. Wichtige Sehenswürdigkeit: das ehemalige Augustinerkloster, in das Martin Luther eintrat, um Mönch zu werden.