Myanmar mag sich rasant verändern. Aber noch lebt, vor allem in den ländlichen Regionen, auch das Burma der Legenden. Zwar wirkt Yangon, die ehemalige Hauptstadt, als ersticke sie im Dauerstau. Überall versperren Bauzäune, Kräne, Abrissbirnen den Blick auf die Relikte der Kolonialzeit. Alle paar Wochen eröffnet ein neues Luxushotel oder eine Galerie, ein italienische Café oder eine Boutique, wie man sie aus Bangkok kennt. Und noch immer werden an jeder Ecke T-Shirts mit dem Porträt der Lady verkauft, wie Aung San Suu Kyi, die Heldin des demokratischen Wandels, hier genannt wird.
Nach der überraschenden politischen Öffnung Ende 2010 ist die bis dahin fast verschlafen wirkende Metropole über Nacht ins 21. Jahrhundert katapultiert worden. Und doch überstrahlt der Glanz der goldenen Pagode in der Fünf-Millionen-Stadt noch immer auf geradezu wundersame Weise nahezu alle Probleme, die mit dem Auf- und Umbruch einhergehen.
Früher Morgen auf der Shwedagon-Pagode, hoch über der Stadt, die früher Rangun hieß. Um kurz vor sieben trifft der erste Sonnenstrahl einen Kranz aus 7000 Edelsteinen auf der Kuppel des wichtigsten Heiligtums dieses Landes, das sich heute Myanmar nennt. Eine Viertelstunde später sind die meisten Bauten auf der Terrasse in goldenes Licht getaucht. Hunde strecken sich, Mönche mit Opferschalen verneigen sich vor den vielen Statuen des Erleuchteten, eine alte Frau, deren Goldzähne beim Lächeln blitzen, bringt mir eine Matte aus Reisstroh, weil die Steine noch kalt sind.
Taxifahrer Win steht mit seinem alten Mazda an seinem Stammplatz vor meinem Hotel. Wir kennen uns schon lange. Vor sechs, sieben Jahren haben wir noch im Flüsterton über die Lady geredet. Und jetzt klebt ihr Porträt von innen an der Windschutzscheibe. Win, der weit über siebzig ist und zwölf Enkelkinder hat, wird mich die nächsten drei Tage chauffieren, auf der Suche nach dem alten Rangun.
Zum Chinesenviertel mit den Ahnenhäusern der verschiedenen Landsmannschaften wird er mich fahren, zum wunderbar-wuseligen Basar der Inder, zu den Moscheen der Bengalen und zu den Vishnu- und Kali-Tempeln der tamilischen Hindus, zum alten Scott Market und danach zum Tee ins legendäre Strand-Hotel von 1901. Dort habe ich vor über 30 Jahren in einem stockfleckigen Zimmer mit einer angerosteten Badewanne gewohnt, in der sich angeblich schon Somerset Maugham erfrischt haben soll, und das heute eine kühle Luxusoase geworden ist.
Die wirklich schönen (und teuren) Hotels der Stadt, die Governor's Residence zum Beispiel, das Panda, der Kandawgyi Palace oder das Savoy, sind in der Regel auf Monate ausgebucht; allenfalls in den Monsunmonaten zwischen Mai und September kann man dort mit etwas Glück ein Zimmer bekommen, vielleicht sogar eines mit Blick auf die Shwedagon-Pagode.
„… und dann erhob sich ein goldenes Wunder am Horizont, ein leuchtendes, glänzendes Wunder, das in der Sonne erstrahlte … das ist die alte Shwedagon … Dies ist Burma, und es wird wie kein anderes Land sein, das Du kennst …“, lässt Autor Rudyard Kipling Ende des 19. Jahrhunderts seinen Reisegefährten sagen, als sie Rangun erreichen. Nach wie vor zieht die Strahlkraft dieser Pagoden die Gläubigen an und lässt Reisende, die das Staunen nicht verlernt haben, auch beim zweiten oder zehnten Besuch demütig werden.
Legenden und Mythen führen zu den Ursprüngen dieses funkelnden Symbols des Theravada-Buddhismus, der alten Lehre des historischen Buddha Siddharta Gautama. Als jener, vor über 2500 Jahren, durch Nordindien wanderte, wurden auf diesem Hügel angeblich schon die Reliquien dreier Buddhas früherer Zeitalter verehrt. Niemand weiß Genaueres über sie, aber noch immer sollen sie tief im Inneren der Pagode versteckt sein.
Myanmar grenzt im Westen an Indien und Bangladesh, im Norden und Osten an China, im Südosten an Laos und Thailand und im Süden an den Indischen Ozean. Mit nahezu 700.000 Quadratkilometer Fläche ist es fast doppelt so groß wie Deutschland. Die Mehrheit der 52 Millionen Einwohner, über 70 Prozent, gehört dem Volk der Burmesen/Birmanen an; die zweitgrößte Volksgruppe, die Shan, lebt im östlichen Bergland. Weit über hundert kleinere Ethnien siedeln verstreut übers ganze Land.
War noch vor wenigen Jahren fast ausschließlich der Flughafen von Bangkok der Ausgangspunkt für Reisen nach Rangun, so findet sich Yangon heute auf den Streckennetzen vieler internationaler Airlines, zum Beispiel aus Dubai, Singapur oder China. Die ideale Saison für ganz Burma, November bis März, ist zugleich die beliebteste und somit auch die teuerste.
So sehr die Burmesen ihrem Buddha auch huldigen mögen, so sehr diese sanfte Religion den Alltag prägt, so läuft doch nichts ohne die Geister. Sie werden Nats genannt; es sind Wesen aus der Anderwelt, Schutzgötter, Kobolde, Dämonen. Und jeder gute Buddhist in Burma wird sie bei Laune halten wollen, mit Blumen, Kokosnüssen, Bananen, mit kleinen Ritualen an vielen Tagen, mit großen Festen in den Vollmondnächten im Mai und Juni oder im November und Dezember. Man lebt mit ihnen zusammen, vertraut sich ihnen an, fürchtet sie, besänftigt sie, ruft sie vor Reisen oder wichtigen Entscheidungen an – ohne dabei jemals zu vergessen, dass einzig und allein Buddha die Regeln des Lebens, Sterbens und Wiedergeborenwerdens vorgegeben hat.
Der Popa-Berg (burmesisch: Taung Kalat), ein erloschener Vulkan, der 737 Meter aus einer Ebene südlich von Bagan ragt, wird von den Einheimischen als Wohnsitz der 37 wichtigsten Nats verehrt. Der Besuch ist spannend, verwirrend und in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Die 777 Stufen hinauf zur Tuyin Tanug Pagode sind steil und eng. Einerseits nerven immer wieder Affen, die nicht nur auf Bananen, sondern auch auf Handtaschen aus sind. Andererseits kannst du auf mehreren Plattformen und in kleinen Andachts-Pavillons ausruhen und dabei den Blick in die grüne Umgebung genießen.
Die Entfernungen zwischen den großen Sehenswürdigkeiten mögen auf der Karte nicht allzu groß wirken. Aber erstens sind viele Straßen noch nicht ausgebaut, es müssenLastwagen, Ochsenkarren, und in der Mitte der Fahrbahn schaukelnde Busse überholt werden. Und zweitens lohnen unterwegs auch immer wieder uneingeplante Stopps, etwa ein Dorffest, Prozessionen, ein Straßenmarkt. Zwei Wochen sind für das Land zu knapp. Sie reichen allenfalls zum Schnelldurchgang: Yangon, Inle-See, Mandalay, Bagan, ein Tag auf dem Irrawaddy.
Mindestens drei Wochen sollte die Reise schon dauern. Denn zu kaum einem anderen Land in Asien passt der Trend zur Entschleunigung so gut wie zu Myanmar. Die langsame Annäherung erschließt dieses Land auf geradezu ideale Weise: bei Flussreisen auf dem Irrawaddy (der inzwischen auch einen neuen Namen hat: Ayeyarwaddy heißt er nun); während langer Eisenbahnfahrten; nostalgisch mit der Kutsche oder mit dem Ballon in den Morgen hineinfahren, den Pagoden aufs Dach schauen und die Sonne über dem Irrawaddy aufgehen sehen; sanft mit einem Ruderboot über den Inle-See gleiten. Auch Wanderungen und Trekkingtouren sind in vielen Regionen leicht zu organisieren, mit oder ohne Guide. Viele junge Leute sprechen ordentliches Englisch, sind freundlich und hilfsbereit.
Yangon, vormals Rangun
Zwei Nächte, drei Tage sollten zum Auftakt einer Rundreise für Yangon reserviert sein, vielleicht am Schluss, vor dem Rück- oder Weiterflug, noch einmal ein gemütlicher Tag zum Flanieren.
Bago und der Goldene Felsen
Bago, das alte Pegu, war einst die Hauptstadt mächtiger Mon-Reiche. Heute ist sie ein lebhafter Verkehrsknoten, 80 Kilometer nördlich von Yangon, ein idealer Stopover für Lunch und Stadtbummel auf dem Weg zu einer faszinierenden, im wahrsten Sinne herausragenden Sehenswürdigkeit. Von Bago sind es anderthalb Stunden Fahrt nach Osten, und Kyaikto ist erreicht, das Städtchen, von dem aus die Busse mit Pilgern zum Ausgangspunkt der anstrengenden Wanderungen zum Goldenen Felsen starten (zwölf Kilometer in Serpentinen bergauf). Der Golden Rock ist eine der heiligsten Stätten der Buddhisten, ein magischer Ort. Wer den Zauber dieses weithin leuchtenden Felsen, der über einem 1.100 Meter tiefen Abgrund schwebt, erleben will, muss in einer der einfachen Unterkünfte auf dem Felsen übernachten und Sonnenunter- und Sonnenaufgang auf sich wirken lassen.
Inle-See
Dieser See im Herzen Burmas, auf tausend Metern Höhe gelegen und mit 116 Quadratkilometern exakt so groß wie die Müritz in Mecklenburg, fehlt auf keiner Rundreise. An seinen Ufern lebt das Volk der Intha. Nicht nur an den Ufern, gesäumt von mehr als 200 Klöstern, von Dörfern und noblen Resorts, pulsiert das Leben. Vor allem zwei Attraktionen heben den Inle Lake von anderen Gewässern ab: Auf dem See floriert eine Wirtschaft ganz eigener Art, auf schwimmenden Beeten wird Gemüse „angebaut“, Bohnen, Kohl, Tomaten und, das vor allem, Blumen, vorwiegend Wasserhyazinthen.
Mandalay
Mandalay, was für ein Name, wie viel exotische Verheißung schwang da mit: wispernde Geschichten und Geheimnisse, Basare voller Farbenpracht, die Märkte, Pagoden, die Stadt des Glaspalastes der letzten Könige von Burma. Ochsenkarren und alte englische Autobusse bestimmten das Straßenbild, Wasserbüffel und Arbeitselefanten das der Ufer des Irrawaddy.
Die letzte Hauptstadt des alten Königreichs Burma hat sich ihren Mythos bis heute bewahrt, obwohl sie zur Fast-Zweimillionenstadt herangewachsen ist. Von hier aus starten die meisten Flussfahrten auf dem Irrawaddy. So hektisch und teilweise wenig ansprechend die Innenstadt wirkt, so attraktiv sind einige Attraktionen aus der alten Zeit im Herzen der Stadt, etwa die Mahamuni-Pagode der Mandalay Hill. Reizvolle Muss-Ziele in der Umgebung: Amarapura mit der 200 Jahre alten U-Bein-Brücke, mit 1,2 Kilometern die längste Teakholzbrücke der Welt. Auch Mingun ist unbedingt einen Ausflug wert; ein unvollendetes Kloster birgt dort die größte intakte Glocke der Welt, 150 Meter hoch.
Irrawaddy-Flussreise
Die kleinen Flussdampfer, die früher den Personenverkehr auf der Lebensader des Landes sicherten, sind zu einer Flotte herangewachsen: Es gibt gemütliche Schiffe im Kolonialstil, noble Flussdampfer und Boutique-Boote mit luxuriösen Kabinen. Im Angebot sind die unterschiedlichsten Angeboten für Fahrten zwischen Mandalay und Bagan oder weiter nach Norden, bis hinauf nach Bhamo. Eine Reiseform, bei der sich Nostalgie und zeitgemäßer Komfort auf geradezu ideale Weise treffen.
Bagan
Tausende alter Tempel ragen aus einer sandigen Ebene nahe dem Irrawaddy. Bagan, früher Pagan genannt, dämmerte nach glanzvollen Epochen lange Zeit vor sich hin. Erdbeben und Plünderungen ließen zahlreiche Heiligtümer verfallen. Und doch wirkt das riesige Areal der zwei- oder dreitausend verbliebenen Pagoden bis heute wie das Relief eines göttlichen Gebirges. Wer Bagan nicht gesehen hat, hat Burma nicht gesehen, kann auch das Myanmar von heute nicht wirklich verstehen.
Ngapali
Die durchweg niedriger als die Palmen gebauten neuen und älteren Hotels an den beiden sichelförmig geschwungenen Buchten sind leicht zu erreichen, am schnellsten über den Flughafen Thandwe (nur vier Kilometer vom Strand entfernt). Die Atmosphäre ist noch immer ruhig und gelassen. Zwar gibt es Restaurants, auch Autovermietungen, Galerien und andere touristische Einrichtungen, aber wenig Shopping- oder Ausgeh-Möglichkeiten.
Sittwe und Mrauk U (Rakhine)
Die kulturell wie landschaftlich reizvolle Region Rakhine, die ehemalige Provinz Arakan, ist derzeit nur schwer zu bereisen. Immer wieder machen blutige Auseinandersetzungen zwischen Buddhisten und Angehörigen der muslimischen Volksgruppe der Rohingya Schlagzeilen. Bis auf weiteres sollten die Rakhine-Haupstadt Sittwe und Mrauk U, einer der kulturhistorisch spannendsten Orte Myanmars, vom Reiseplan gestrichen werden.
Myanmar ist ein Staat in Südostasien und grenzt an Thailand, Laos, die Volksrepublik China, Indien, Bangladesch und den Golf von Bengalen.