Reisebericht
Saint Lucia: Michaela's Aktivurlaub in der Karibik
Beim Gedanken an die Karibik geraten viele ins Schwärmen: Traumstrände, Tropenromantik, Reggae und Rum. Doch für mich klang das noch nie besonders verlockend. Als Sportlerin suche ich im Urlaub nach Aktivität, Abenteuer und authentischen Begegnungen mit Land und Leuten. Und natürlich möchte ich dem nasskalten Winter entfliehen. Der Reiseführer Lonely Planet weckte meine Neugier, als er die kleine Insel Saint Lucia in seine Top-Ten-Ziele für das Jahr 2024 aufnahm. Ich wollte schnell hin, bevor es die Massen taten. Hier sind meine Tipps für einen unvergesslichen Urlaub auf einer der südlichsten Karibikinseln — versteckt zwischen Martinique, Barbados, St. Vincent und den Grenadinen.
Grüne Schönheit
Erkunde den Ausgangspunkt für Abenteuer
Nach rund 14 Flugstunden (via London) empfängt mich die warme Karibikluft wie eine sanfte Umarmung. Saint Lucia gehört mit einer Länge von 43 Kilometern und einer Breite von 23 Kilometern zu den kleinsten Staaten der Welt. Doch schon nach den ersten Minuten im Minibus wird mir klar, warum sich die Entfernungen hier ganz anders anfühlen. Dicht bewaldete Berge, steile Anstiege, Haarnadelkurven und atemberaubende Abfahrten prägen die Landschaft. Nur eine große Straße führt um die Insel herum — mit spektakulären Ausblicken auf Buchten, kleine Dörfer und üppigen Urwald. Auf der Westseite leuchtet das Smaragdgrün der Karibik, entlang der Ostküste glitzert das Tiefblau des Atlantiks. Ich habe die Route vom Internationalen Flughafen im Süden über die wilde Westküste gewählt, um meinen ersten Aufenthaltsort nahe der Hauptstadt Castries zu erreichen. Die größte Stadt der Insel mit ihren knapp 20.000 EinwohnerInnen gilt als zentraler Ausgangspunkt für Abenteuer und echtes Karibikfeeling.
Ziplining im Dschungel
Fortbewegen wie Tarzan
Die Fahrt hat mich neugierig auf den Dschungel gemacht. In Babonneau, im Inselinneren, wird das Abenteuer Ziplining angeboten. Zwei junge Damen, Smartie und Melissa, führen die Tour. Dazu ist das Tragen einer Sicherheitsausrüstung nötig und Smartie, die so süß ist wie ihr Name, hilft mir, Brusttrapez, Klettergurt und Helm anzulegen. Wie alle knapp 180.000 EinwohnerInnen der Insel spricht sie perfekt Englisch, die offizielle Landessprache. Ein Vermächtnis der Kolonialgeschichte. Mit Melissa jedoch redet sie Patois, eine Kreolsprache, die auf dem Französischen basiert (Saint Lucia stand auch mal unter französischer Herrschaft). Ein altmodisches, offenes Göndelchen, die Aerial Tram, bringt uns einen steilen Hang hinauf. Immer wieder bleibt sie stehen und wir halten Ausschau nach einem Papagei mit grünem Gefieder und blauem Kopf. Blaustirnamazone oder Jacquot-Papagei heißt der Nationalvogel, von dem es nur noch 350 Exemplare geben soll. Zwischen hochhausgroßen Bäumen, Lianen und riesigen Farnblättern ist jedoch keiner zu entdecken. Dafür aber Kolibris! Sie sind nur wenige Zentimeter groß, schillernd blau und Weltmeister im Flügelschlag: mehr als 90 Mal pro Sekunde. Ein faszinierender Anblick.
Doch nun wird es ernst – und ich bekomme weiche Knie. Ich stehe auf einem Podest in 40 Metern Höhe und soll abspringen. Smartie hat zuvor die beiden Karabiner von meinem Trapez und Klettergurt an einem daumendicken Drahtseil eingeklickt und nickt mir aufmunternd zu. One, two, threeee – Adrenalinrausch! Mit 35 Kilometern pro Stunde rase ich auf einer Strecke von 250 Metern talwärts und auf den nächsten Baumriesen zu. Auf der dortigen Plattform wartet Melissa und bremst mich ab. Beim nächsten Sprung bin ich schon mutiger und genieße es, wie Tarzan durch das Blätterdach zu schweben. Nervenkitzel auf einer Strecke von eineinhalb Kilometern. Aufregender hätte meine erste Begegnung mit der Insel nicht sein können.
Sea Trek
Unterwasser-Spaziergang mit AstronautInnenhelm
Nun will ich das karibische Meer auf eine Weise erkunden, die ich zuvor noch nie erlebt habe: beim Sea Trek. Pigeon Island, eine Halbinsel im Norden, die durch einen aufgeschütteten Damm mit dem Festland verbunden ist, erwartet mich. Feinsandige Strände, das historische Fort Rodney auf einer Klippe und die gemütliche Strandhütte Jambe de Bois, die das einheimische Piton-Bier eisgekühlt serviert, prägen das Bild. Mein Ziel ist Sealife Paradise, wo mir Anthony einen 30 Kilogramm schweren Helm aufsetzt. Dieser ist über einen Schlauch mit einer kleinen Sauerstoffflasche verbunden, die auf einer Art Mini-Schlauchboot an der Wasseroberfläche treibt. Wir stehen im kinntiefen Wasser, ohne Flossen, ohne Schnorchel, nur im Badeanzug und mit dem Astronautenhelm auf dem Kopf. Auf Anthonys Kommando tauchen wir ab und beginnen unseren Unterwasserspaziergang bis in sieben Metern Tiefe. Der schwere Helm hält mich unter Wasser und ermöglicht es mir, aufrecht am Meeresgrund zu gehen. Schwerelos und in Zeitlupe. Wie beim Moonwalk. Nur dass statt Sternen Papageienfische, die langen Fühler von Hummern, die sich hinter Steinen verstecken, Seegurken und ein Autowrack zu sehen sind. An diesem haben sich Weichkorallen angesiedelt und aus dem offenen Fenster schießt plötzlich ein Schwarm kleiner, silbrig glänzender Fische hervor. Da ich keinen Tauchschein habe, war ich noch nie so tief unten am Meeresboden. Wieder eine neue, faszinierende Erfahrung. Anthony erzählt mir danach von seinen begeisterten KundInnen, denn Sea Trek ist für das Alter von acht bis 80 Jahren geeignet und auch für Nicht-SchwimmerInnen.
Friday-Night-Jump-up
Karibische Lebensfreude auf der Straßenparty
Die Erfahrungen von Schwerelosigkeit in der Luft und unter Wasser haben mich derart beschwingt, dass mir nach Feiern zumute ist. Jeden Freitagabend steigt in Gros Islet eine Party – und das seit 30 Jahren. Beim Friday-Night-Jump-up scheint sich die ganze Insel zu versammeln. Die Straßen zwischen Bay Street und der Kirche St. Joseph The Worker sind gesperrt und haben sich in eine Bar- und Grillmeile verwandelt. Auf improvisierten Grillfässern brutzeln Meeresfrüchte, Fisch, Hühnerfleisch und Spareribs. Dazu wummern die Bässe von Reggaeton- und Soca-Rhythmen. Der Hauptplatz ist der Dancefloor; hier legt ein DJ auf. Alle tanzen. Schwitzende Körper drängen sich dicht aneinander, grooven und twerken. Frauen ziehen an dicken Zigarren, Rumpunch fließt aus Dreiliterflaschen … eine wilde Party. Die karibische Lebensfreude steckt an, Einheimische tanzen mit TouristInnen, hier gerät jede Hüfte ins Schwingen. Meine zeigt schon langsam Ermüdungserscheinungen und ich suche mir ein Plätzchen in einer Bar, um das Treiben zu beobachten. Die Stimmung ist zu elektrisierend, um schon zurück ins Hotel zu gehen. Obwohl es auf drei Uhr morgens zu geht …
Marigot Bay
Filmspot und sicherer Hafen
Nach dieser anstrengenden Nacht lege ich einen Strandtag ein. Dazu wähle ich bewusst nicht den beliebten, eineinhalb Kilometer langen Reduit Beach in der Rodney Bay. Sondern die südlich von Castries gelegene Marigot Bay. Die tief eingeschnittene Bucht ist auch sehr bekannt – hier wurde die Filmkomödie Dr. Doolittle gedreht – und mit ihren Palmen und dem weißen Sandstrand von postkartenhafter Schönheit. Es gibt einen kleinen Segelhafen und den witzigsten Friseurladen, den ich je gesehen habe. Gezimmert aus ein paar Brettern mit offenem Dach, bietet Jake hier günstige Haarschnitte an. Vor allem SeglerInnen, die wochenlang durch die Karibik schippern, würden zu ihm kommen, erklärt er und bietet mir zwinkernd seinen Friseurstuhl an. Ich entscheide mich aber für eine zweistündige Kajak-Tour in die Mangrovensümpfe. Ein Trip in die Stille. Unterbrochen nur durch das Plätschern des Wassers, den hellen Ruf des Bartgimpelfinks und das Rascheln von Blättern. Ob ich größere Tiere sehen will, fragt mich Kajak-Guide Matthew und schwärmt mir von Delfinen, Grind-, Pott- und Buckelwalen vor. Letztere bringen in der Zeit von Oktober bis Februar vor der Westküste ihren Nachwuchs zur Welt.
Segeltörn
Sunset mit Delfinen
Die Weiterfahrt Richtung Süden über eine im wahrsten Wortsinn atemberaubende Serpentinenstraße macht mich neugierig, wie die zerklüftete Küstenlandschaft wohl vom Meer aus aussieht. Jetzt weiß ich es: spektakulär. Ich sitze leicht verkrampft auf einer Segeljacht, die schon nachmittags zum Sonnenuntergangs-Törn in See gestochen ist. Der Wind bläst mit vier bis fünf Beaufor, also stark für mich Landratte. Skipper Kerwin lächelt zufrieden und steuert die 15-Meter-Jacht in leichter Schräglage Richtung offenes Meer. Meine Augen schweifen zwischen dem glitzernden Wasser, dem unendlichen Horizont und der tiefgrünen Silhouette der Küste hin und her. Weit und breit keine Walflosse in Sicht. Langsam verfärbt sich der hellblaue Himmel in zarte Rosé- und Orangetöne, ich träume vor mich hin. Plötzlich ein Schrei: Delfine! Ganz nah. Sie begleiten unser Schiff. Ich klammere mich an der Reling fest und kann mein Glück nicht fassen. Mindestens zehn Delfine gleiten lautlos und in vollendeter Eleganz, rhythmisch auf- und abtauchend, direkt unter meinen Füßen durchs Wasser. Ein hellerer Streifen glänzt auf ihrer grauen Haut und manche neigen den Kopf kurz zur Seite, als wollten sie mal gucken, wer sie da anstarrt. Mit offenem Mund und klopfendem Herzen.
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Zwillingsvulkane
Hoch auf das Wahrzeichen
Auf der Segeltour hatte ich schon die beiden erloschenen Zwillingsvulkane Petit Piton und Gros Piton bestaunt, die sich an der Küste als Wahrzeichen der Insel erheben. Sie liegen im Südwesten, bei der Kleinstadt Soufrière. Der Gros Piton ist 771 Meter hoch – 28 Meter höher als sein kleiner Bruder –, gilt aber als leichter zu besteigen. Da die beiden Vulkane zum UNESCO-Weltnaturerbe zählen, dürfen sie nur in Begleitung eines offiziellen Guides erklommen werden. Meiner heißt Hughelan, hat morgens um sechs Uhr schon beste Laune und trägt abgenutzte Turnschuhe. Ich bin froh, dass ich meine Trekkingstiefel dabei habe, denn der nächtliche Regen hat den Pfad glitschig gemacht.
Er schlängelt sich über gewaltige Wurzeln, Felsenbrocken und moosbewachsene Steine. Am Parkeingang habe ich mir Wanderstöcke ausgeliehen, die sich jedoch später als eher hinderlich erweisen. Denn der Trail hat es in sich und ist alles andere als eine gemütliche Wanderung. Hughelan grinst, als ich mir keuchend den Schweiß von der Stirn wische. Die Hitze und Feuchtigkeit sind erdrückend. Wir befinden uns gefühlt mitten im dichten, bergigen Dschungel. Doch als wahrer Gentleman reicht er mir die Hand, zieht mich über einen Felsbrocken und versichert mir, dass wir bald den Gipfel erreichen. Tatsächlich, nach gut zwei Stunden sind wir angekommen – und ich habe es kaum bemerkt. Der Gipfel des Gros Piton ist eine kleine, flache, naturbelassene Ebene. Unspektakulär. Wir lassen uns auf einem der großen Felsen nieder, packen die Brotzeit aus und genießen den Ausblick auf den Petit Piton. Für diejenigen, die nach noch mehr Herausforderung suchen, gibt es die Three Peaks Challenge. Bei dieser extremen Tour mit professionellen Guides werden zunächst der Petit Piton (Klettern mit Seilen), dann der Gros Piton und schließlich der mit 950 Metern höchste Inselberg, Mount Gimie, bestiegen.
Sulphur Springs
Drive-in-Vulkan mit Schlammbad
Zeit für Wellness – für mich ein Muss in jedem Urlaub. Auf Saint Lucia erwartet mich eine der außergewöhnlichsten Schönheitskuren der Welt. Und zwar in einem aktiven Vulkan. Mount Soufrière heißt der Feuerberg, von dem es bei einem Ausbruch im Jahr 1780 etwa ein Drittel wegsprengte. Diese Naturgewalt hat dafür die Zufahrt mit dem Auto in die fast 300 Meter breite Caldera möglich gemacht. Daher auch der einfacher auszusprechende Name: Drive-in-Vulkan. Überall brodelt, zischt und dampft es. Schwefelgeruch hängt in der Luft. Auf einer geführten Tour zu Fuß über heiße Bäche und vorbei an blubbernden Schlammlöchern erfahre ich Interessantes über Geothermie und warum der Vollmond die Aktivität von Geysiren verstärkt. Dabei fallen mir junge Männer auf, die mit schweren Eimern auf der Schulter durch die verbotene Zone waten. Mit Badeschlappen. Sie schleppen den Vulkanschlamm herbei, mit dem ich mich gleich einreiben werde. An speziell angelegten Badebecken sehe ich bereits geisterhafte Gestalten. Kichernd bestreichen sie sich gegenseitig von Kopf bis Fuß mit dem hellgrauen Schlamm. Um dann in den Wasserbecken zu entspannen. Eine Riesengaudi, die auch gut für die Gesundheit ist. Denn der Mineralschlamm soll gegen Hautirritationen helfen und sogar verjüngende Wirkung haben.
Fazit
Abenteuer, Natur und karibische Lebensfreude
Meine Zeit auf Saint Lucia hat mir so viele positive Überraschungen beschert, dass sich mein Bild von der Karibik als einziges Strandurlaubsparadies komplett gewandelt hat. Die Insel bietet zwar etliche schöne Strände – wobei die weißen durch importierten Puderzuckersand aus Guyana aufgeschüttet sind, der natürliche Sand ist eher hellgrau. Doch die Landschaft mit ihren Vulkanen, der Dschungel, die abwechslungsreiche Küste und die lebensfrohen Menschen haben mich definitiv in ihren Bann gezogen.