- Preis-Leistungs-VerhältnisEher gut
Also noch einmal ganz kurz zusammengefasst: im Frühjahr 2003 wurde das historische, von der Fundus-Gruppe („Fonds 34“) unter A. A. J. wieder aufgebaute Gebäudeensemble in Deutschlands ältestem Seebad durch Betreiber Kempinski eröffnet – und blieb bis auf das Jahr 2007 mit dem G8-Gipfel bei einer durchschnittlichen Auslastung von nie über 50% stets tief in den roten Zahlen; jährliche Verluste von mehreren Millionen Euro waren die Regel. Kempinski zog die Reißleine und kündigte den Betreiber-Vertrag von einem Tag auf den anderen. Finanziell wohl die richtige Entscheidung, doch verliert die Hotelkette dadurch auch eines seiner zweifellos schönsten Häuser. Neuer Direktor ist jetzt seit über einem Jahr der noch junge H. K., der pikanterweise zuletzt das Bristol Hotel Kempinski in Berlin leitete; ansonsten wird alles versucht, dass langsam wieder Ruhe einkehrt. Dafür beginnt man endlich wieder zu investieren: von einem Thalasso- und Ayurveda-Center ist die Rede und die sogenannte „Perlenkette“, sieben verfallene, unter Denkmalschutz stehende Villen in direkter Strandlage, wird zu Eigentums-Residenzen umgewandelt; diverse Baustellen, Absperrgitter, Kräne und Bagger zeugen davon. Bauherr: die Entwicklungs-Compagnie Heiligendamm (ECH), ein Tochterunternehmen der Fundus-Gruppe. Trotzdem! All diese Querelen und all die negativen Berichte können nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses wunderschöne klassizistische Architekturensemble zu den wohl beeindruckendsten und wahrlich luxuriösesten Hotels Deutschlands zu zählen ist. Ungeachtet der Eigentums- und Betreiberstruktur ist dem Haus und seinen Mitarbeitern für die Zukunft nur das Beste zu wünschen.
Nach dem Raucherzimmer in der abgelegenen Orangerie freuten wir uns über ein Upgrade im Severin-Palais, dem einzigen Neubau der Anlage, was allerdings auch keine allzu großen Schwierigkeiten bedeutet haben konnte, da das Hotel an diesem Wochenende maximal zur Hälfte belegt war. Unser in weiß gehaltenes Superior-Zimmer mit seitlichem Meerblick präsentierte sich klassisch-elegant mit hellem Mobiliar und der sich wiederholenden Farbkombination grün-rosa, in dem man sich sofort wohl fühlte; klassisch, aber nicht plüschig, luxuriöser Wohnkomfort und zum zurückhaltenden Stil des Gebäudes passend. Für Gäste, die einen längeren Urlaub in Heiligendamm verbringen, stand in mehreren großen Wandschränken ausreichend Stauraum zur Verfügung, so wie auch bei einer Größe von über 30 qm nicht gerade Platzmangel herrschte. Alles schien wohl durchdacht: der Zimmersafe in angenehmer Höhe, das Körbchen für den Schuhputzservice, Regenschirme auf jedem Zimmer, DVD-Spieler und kostenloser Internet-Zugang, die passenden Gläser für wirklich jedes noch so exotische Getränk aus der Minibar – wo sonst sieht man auf dem Zimmer schon mal einen Cognacschwenker von Schott Zwiesel? Besonders praktisch: die Lichtschalterleiste in der Nachttischschublade, von der aus man die gesamte Elektronik des Zimmers regeln konnte … nur die Klimaanlage nicht; es war durchgängig zu warm, so dass wir irgendwann in den frühen Morgenstunden alle Fenster aufreißen mussten. Ein Traum auch das Badezimmer in dunklem Marmor, edlen Armaturen und abgetrennter Toilette – dieser WC-Raum allein war schon größer als so manches Bad in anderen Hotels. Die Guest supplies von Molton Brown und Badesalz von Sauvage entsprachen dem Anspruch des Hauses, nur die Bodylotion „Kokos“ war kaum zu ertragen, man roch sie im gesamten Hotel.
Verständlich, dass man bei einer solch großen und abgelegenen Anlage versucht, dem Gast für jeden Geschmack etwas zu bieten und so möglichst auf dem eigenen Gelände zu halten. Kulinarischer Höhepunkt mit einem Michelin-Stern ist auch nach Tillmann H. Abgang (jetzt: Yachthafenresidenz Hohe Düne, Rostock) unter dem neuen Küchenchef Ronny S. das Restaurant Friedrich Franz, in denselben Räumlichkeiten gelegen wie das Kurhaus-Restaurant. Außerdem noch vorhanden: Die Baltic Sushi Bar mit japanische Spezialitäten und die Davidoff-Lounge in der Burg Hohenzollern, am Samstagabend zu später Stunde noch gut besucht, für Nichtraucher aber leider unerträglich. Neben dem im Zimmerpreis enthaltenen Frühstücksbuffet besuchten wir außerdem noch die Nelson-Bar und das Medini’s, direkt an der Strandpromenade im Haus Bischofsstab gelegen. Medini’s: Zugegeben, wir sind keine Gourmets. Wir mögen Döner, McDonalds und Pizza in der Studentenkneipe – und bei dem arg strapazierten Wort „Edelitaliener“ werden wir misstrauisch. Das Medini’s ist aber nun genau das: edel – und teuer. Die als Zwischenmahlzeit angekündigte Lasagne mit Tintenfisch zum Preis von EUR 18,- hatte gerade mal die Größe eine Kinderfaust und schmeckte eben passabel; die Schinkenpizza danach (irgendwie muss man ja satt werden!) für EUR 16,- war okay, nicht mehr, nicht weniger. Sehr aufmerksam den ganzen Abend über hingegen der Service und das zur Vorspeise gereichte Brot mit Dipsauce vorzüglich. Angesichts der übertriebenen Preise aber nur bedingt empfehlenswert. Nelson-Bar: Die größte Bar der Anlage befindet sich im Gebäude Grand-Hotel direkt neben der schönen Lobby und präsentiert sich in behaglicher Club-Atmosphäre mit holzgetäfelten Wänden, Ölgemälden und Live-Musik, wobei der Gesang zeitweilig ein Gespräch unmöglich machte. Die Cocktails gerieten hervorragend, mindestens genauso gut aber gefiel uns der Afternoon Tea bei dezentem Klaviergeklimper; auch eine kleine Auswahl warmer Gerichte wird angeboten. In der Bar herrschte zu allen Zeiten großer Andrang, Sehen und Gesehen werden scheint die Devise. Im Sommer hat man von der Terrasse zudem einen wunderbaren Blick aufs Meer und die Seebrücke. Frühstück: Das Frühstücksbüffet findet in den Räumen der beiden Hauptrestaurants im Kurhaus-Gebäude statt, was ja immer nicht ganz unproblematisch ist, wenn auch am Wochenende schon ab 11 Uhr die Mittagstische eingedeckt werden müssen. Dafür war die Atmosphäre eine ganz besonders festliche: einerseits die klassischen Räumlichkeiten mit Seidentapeten, Kronleuchtern und hoher Stuckdecke, andererseits ein überwältigendes Büffet, das in Bezug auf Frische, Auswahl und Präsentation wirklich keine Wünsche offen ließ; allein die Auswahl von rund 20 Honig- und Marmeladengläsern machte einen sprachlos, ebenso die Cerealien-Ecke mit einer unglaublichen Anzahl verschiedener Müslisorten. Bemerkenswert auch der Schwerpunkt auf regionale Produkte aus ökologischem Anbau vom hoteleigenen Gut Vorder Bollhagen. Das dann doch noch einige Gerichte wie Pancakes oder frische Waffeln extra berechnet werden müssen, erscheint kleinlich.
Wenn es heißt „Kleinigkeiten sind es, die Perfektion ausmachen. Aber Perfektion ist keine Kleinigkeit“, so ist es fast interessanter zu betrachten, was in Heiligendamm dann doch etwas aus dem perfekten Rahmen fällt – und wie damit umgegangen wird. So wurden wir bei unserer Ankunft von einer freundlichen Empfangsdame aus völlig unerklärlichen Gründen in ein – zugegebenermaßen sehr schönes – Raucherzimmer in der Orangerie geführt; Aschenbecher, Streichhölzer und kalter Rauch zeugten noch von unserem Vormieter. Andererseits bekamen wir nach unserer Reklamation bereits zwei Minuten später ein kostenloses Upgrade im Severin-Palais; hier hatte man hingegen in der Eile so manches vergessen: die Rose im Bad etwa oder den obligaten Früchtekorb (Obstbesteck lag bereit). Was meine Freundin etwas irritierte: auf der Hülle der Schlüsselkarte waren wir als „Herr und Frau …“ eingetragen; da ist man in der Reservierungsabteilung wohl etwas vorschnell gewesen, schließlich hatte ich einfach unter meinem Namen für 2 Personen gebucht und hätte ja durchaus auch mit meinem Großonkel anreisen können. Ansonsten agierten die Mitarbeiter, wie man es sich in einem 5-Sterne-Hotel nur wünschen kann: Wege wurden nicht nur beschrieben, sondern der Gast bis zum Ziel begleitet, kleinere Sonderwünsche wurden umgehend erfüllt, jedermann grüßte freundlich und mit einem Lächeln. Es ist unübersehbar, dass in diesem Hause allein der Gast und seine Wünsche im Mittelpunkt stehen.
Problematisch. Die wunderbare Lage zwischen (schmalem) Strand und den schönen alten Buchenwäldern verspricht „splendid isolation“ und ein wenig Zauberberg-Atmosphäre, Ruhe, Muße und Zeit für sich selbst. Jedoch: diese Zeit kann sehr schnell ganz schön lang werden, denn der Ort besteht wirklich nur aus der Hotelanlage, der angrenzenden MEDIAN-Klinik und einem kleinen „Quartier 206“-Ableger; eine auch nur noch so geringe touristische Infrastruktur existiert nicht, die nächsten Orte wie Kühlungsborn oder Bad Doberan sind nur mit dem Auto zu erreichen. Was also tun den ganzen Tag? Die Direktion bemüht sich und bietet – auf hohem Niveau – etwas Entertainment: Lesungen, Ponyreiten, Sterne beobachten, Picknick, Kochkurse ... und bei gutem Wetter gibt es ja immer noch das Meer und den Golfplatz. Wir jedoch, ein regnerisches Wochenende mit dem ersten schweren Herbststurm des Jahres in Heiligendamm verbringend, können uns schwerlich vorstellen, hier über längere Zeit unseren Urlaub zu verbringen – nicht einmal im Sommer.
Beliebte Aktivitäten
- Sonstiges
Zu einer Zeit, da sich fast jede Sauna mit Tauchbecken großzügig als „Wellness-Center“ definiert, eröffnen sich einem im Untergeschoss des Palais Severin wahrlich berauschende Badewelten: ein Schwimmbecken von olympischen Ausmaßen, der Whirlpool groß genug für ganze Reisegruppen, Finnische Sauna mit Sternenhimmel, ein auch architektonische sehr gelungener Hamam, Dampfbad, Caldarium, Fitnessraum mit modernsten Geräten, eine große Auswahl von Massage- und Ruheräumen mit kostenlosen Getränken – und alles in hervorragendem Zustand, blitzsauber und so großzügig angelegt, dass selbst am Vormittag zur Kinder-Badestunde nie das Gefühl von Überfüllung aufkommen konnte. Dazu eine ständig besetzte Pool-Bar und die Dachterrasse mit Meerblick – glücklich, wer sein Zimmer im selben Gebäude beziehen kann und nicht anschließend im Bademantel über die weitverzweigte Anlage den Weg zurück in „sein“ Haus suchen muss. Alles in allem wohl einer der schönsten Spas der gesamten Ostseeküste.
Infos zur Reise | |
---|---|
Verreist als: | Paar |
Dauer: | 1-3 Tage im September 2010 |
Reisegrund: | Sonstige |
Infos zum Bewerter | |
---|---|
Vorname: | Matthias |
Alter: | 41-45 |
Bewertungen: | 25 |