Wie bitte? Capri? Ist es da nicht viel zu voll? Doch, ist es. Aber nur, wenn man die Insel genau dann erkunden möchte, in denen alle anderen das auch gerade vorhaben, oder, anders gesagt: Sobald die ersten Fähren mit Tagesausflugsgästen aus Neapel anlegen. Und natürlich auch, wenn man bloß die Orte abklappert, die in wirklich jedem Reiseführer stehen. Capri sollte man nicht bloß besuchen – auf Capri sollte man übernachten. Zumindest ein oder zwei Nächte lang. Dann ist Capri ganz anders.
Annacapri mit seinen kleinen Hotels ist ein guter Ausgangsort. Die meisten liegen mitten in Olivenhainen und Obstgärten, die Luft riecht nach Oleander und Vanille und frischen Cornetti von der Frühstücksterrasse. Man kann sich schnell und leicht verzetteln auf den schmalen Wegen zwischen diesen Gärten, die sich wie ein langes Band um die Berge der Insel gelegt haben. Sobald man los läuft, flutet nämlich plötzlich ganz Capri auf einen ein. Man sieht die Farbe der Bougainvilleen und das Moos in den Mauerritzen. Die Wolken, die sich langsam zu ihrer täglichen Verabredung am Monte Solare aufmachen. Die kleinen Eidechsen. Die Reben, die einen Baldachin über einem bilden. Man riecht den warmen Stein der Gasse, die reifenden Trauben, die Myrte, den Lorbeer. Und hört die Bienen, die Grillen, das Meer, in weiter Ferne, so nah.
Die Via Migliara ist einer dieser capresischen Wege, an denen entlang sich der gepflegte Garten Capri in einen wild-romantischen Park wandelt. Wie viele andere dieser Pfade endet auch die Via Migliara am Abgrund. Plötzlich steht man oben auf einer Klippe und kann nichts anderes tun, als in dieses unwirkliche Blau hinabzuschauen. Minutenlang. Tief unten ziehen Motorboote weiße Brautschleppen. Möwen schweben in langen Spiralen an den Felsen entlang nach oben, lassen sich fallen, nutzen die Thermik laut rufend zur nächsten Aufwärtsspirale. Die Schwalben machen Geräusche, als würden kleine Messer geschliffen. Man läuft weiter, die Küste entlang, auf einem in den Fels gehauenen Pfad, der überall dort, wo es abgründig zu werden droht, mit Heiligenbildchen ausgestattet ist. Unten im Meer duellieren sich einfallende Sonnenstrahlen mit den reflektierenden Wellen. Alles scheint, alles gleißt, alles ist Urlaub.
Manche behaupten ja, Capri sei jene Insel, von der aus die Sirenen mit all ihrer Schönheit damals Odysseus zu sich locken wollten. Einst hätten die Götter auf Capri gewohnt, heißt es, und später die Kaiser. Roms Imperatoren sind Staub, und die Götter sind vertrieben worden von all den Ausflugstouristen – aber möglicherweise kommt ja der ein oder andere hin und wieder zurück und sieht nach, was so geworden ist aus der alten Heimat. Vielleicht verweilt er dann ein wenig, eine Stunde, ein paar Augenblicke. Und vielleicht begegnet man ihm, ohne es zu merken.
Die Villa Jovis gehörte einst Kaiser Augustus, der sein Weltreich jahrelang von Capri aus regierte. Von Capri-Stadt aus dauert der Spaziergang zu den sehr sehenswerten Ruinen eine Dreiviertelstunde.
Die italienische Felseninsel liegt rund fünf Kilometer vom Festland entfernt im Golf von Neapel. Bekannt geworden ist sie unter anderem durch ihre Höhlen am Meer.