Eine Idee und was aus ihr wurde: Weissenhof in Stuttgart, Walter Gropius in Karlsruhe und die Wiederbelebung der Bauhaus-Ideen in Ulm. Zum 100-jährigen Jubiläum der berühmten Kunstschule begeben wir uns auf Spurensuche
Bunt ist meine Lieblingsfarbe.“
Man tritt über die Türschwelle – und fühlt sich sofort wohl. Das schmale Treppenhaus wirkt mit seinen farbigen Wänden großzügig. Das Wohnzimmer hat ein Fensterband, das den Blick ins Grüne und Weite ermöglicht. Der Raum lässt sich ruckzuck in zwei Schlafzimmer verwandeln. Die Betten werden aus Schränken herausgeschoben, eine Schiebewand trennt das Elternbett von dem der Kinder. Willkommen im berühmten Haus Le Corbusier in der Stuttgarter Weissenhofsiedlung!
Andächtig wandelt man durch das Musterhaus von 1927, das heute Museum ist – trotz seiner klaren Formen ist es richtig gemütlich und immer noch sehr modern. Seit 2016 gehören die beiden Le-Corbusier-Häuser, von denen das kleinere noch privat bewohnt ist, zum Weltkulturerbe der UNESCO. Heute sind sie, wie die gesamte Weissenhofsiedlung, als Beispiel des Neuen Bauens (zu dem auch die Entwürfe des Bauhauses zählen) international bekannt. Deshalb wird 2019 auch hier das 100-jährige Jubiläum der Gründung des Bauhauses gefeiert.
Einst war die Meinung zu den 33 Flachdachbauten sehr geteilt, erzählt Anja Krämer, die Leiterin des Weissenhofmuseums. „Wir Berliner blicken voller Neid auf Stuttgart“, schreibt damals zwar eine Hauptstadt-Zeitung. Und 500.000 Menschen kommen, um sich die neuartigen Häuser anzuschauen. Aber dem Planer Ludwig Mies van der Rohe bläst auch ein rauer Wind entgegen. Als der Architekt seine Pläne für die Bauausstellung vorlegt, die die Stadt mit dem Deutschen Werkbund ausrichtet, lehnen mehrere konservative Stuttgarter Architekten die Ideen ab, nennen die Siedlung ein „italienisches Bergnest“ und „eine Vorstadt Jerusalems“. Von „Dilettantismus“ ist die Rede. Ja, man bietet van der Rohe sogar freundlich Hilfe in Form eines Gegenentwurfs an – was dieser ebenso freundlich ablehnt.
Der Gemeinderat in Stuttgart denkt damals mehrheitlich visionär, er stimmt für die Pläne van der Rohes und dieser engagiert 17 Architekten, darunter den Bauhaus-Begründer Walter Gropius und Hans Scharoun, der später unter anderem die Berliner Philharmonie baut. Es entstehen 33 Häuser, von denen heute noch zwei Drittel stehen. Der Rest wird im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Nur zwei Stuttgarter sind unter den Planern, was natürlich viele Einheimische ärgert. Einer von ihnen, Adolf Gustav Schneck, baut 1929 bis 1930 in Bad Urach ein Kaufmanns-Erholungsheim, das spannende Haus auf der Alb, das etwas abseits des Ortes im Wald liegt. Heute ist dort das Tagungszentrum der Landeszentrale für Politische Bildung untergebracht. Im Rahmen von Seminaren kann man in dieser Ikone des Neuen Bauens noch immer übernachten.
Wie wollen wir in Zukunft leben? Was verbessert die Lebenssituation der Menschen in Deutschland? Das Staatliche Bauhaus, das Walter Gropius 1919 in Weimar gründet, ist nicht nur eine Kunstschule – die Studierenden beschäftigen sich auch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. Im Blick hat Gropius zwar „den großen Bau“ – ein Einheitskunstwerk mit fließenden Grenzen zwischen Architektur, Design und Kunst. Aber zunächst entstehen viele Designklassiker, die so oder so ähnlich bis heute in unseren Wohnzimmern stehen.
Einige der Ideen, die damals in Thüringen entwickelt werden, dürfen als Importe aus Baden-Württemberg gelten: Oskar Schlemmer und der Schweizer Künstler Johannes Itten, die beide bei Adolf Hölzel an der Stuttgarter Kunsthochschule studiert haben, kommen als Bauhaus-Meister nach Weimar, um dort zu unterrichten. Einige ihrer Werke hängen heute im Kunstmuseum Stuttgart und in der Staatsgalerie Stuttgart. Auf den Spuren des Bauhauses sollte man unbedingt eine ganz besondere Formation bewundern: die Kostüme des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer in der Staatsgalerie. Es feiert 1922 in Stuttgart Uraufführung. Hiesige Künstler gehen in Weimar ein und aus. Und der Chef des Bauhauses, Walter Gropius, baut nicht nur am Weissenhof mit. Unter seiner Leitung entsteht 1928 und 1929 auch eine weitere Mustersiedlung des Neuen Bauens: der Dammerstock in Karlsruhe.
Was nützen hohe Räume – wenn kaum Licht durch die Fenster kommt? Wer spielt als Kind schon gerne in einem engen Hinterhof? „Viel Licht, viel Luft und viel Großzügigkeit, das wünschte man sich für die neue Siedlung im Dammerstock“, erzählt die Gästeführerin Gabriele Tomaszewski beim Rundgang. „Das war ein echter Gegenentwurf zum herkömmlichen Bauen.“ Die Zielgruppe waren ganz normale Bürger. Spannend: Die Dammerstock-Siedlung in Karlsruhe, wegen der Weltwirtschaftskrise nie fertiggestellt, wurde in Zeilenbauweise errichtet. Die Häuser sind so gebaut, dass morgens die Sonne ins Schlafzimmer scheint – und nachmittags in den Wohnraum. Zwischen den Gebäudereihen ließ man viel Platz, sodass weitläufige Grünflächen entstanden. Heute spaziert man hier durch ein luftiges Quartier, das vor allem bei Familien sehr beliebt ist.
Walter Gropius, der 1928 den Wettbewerb der Stadt Karlsruhe gewinnt, hat die Aufgabe, auch andere erfolgreiche Teilnehmer des Wettbewerbs einzubeziehen, auch sie sollen ihre Entwürfe beisteuern dürfen. So entsteht eine Art Freiluft-Showroom der modernen Architektur – aus einem Guss, aber mit vielen Handschriften. Leider wird das Projekt nie ganz verwirklicht. Erst kommt die Wirtschaftskrise, später gelangen die Nazis an die Macht, die das Neue Bauen ablehnen.
War’s das dann mit dem Neuen Bauen und dem Bauhaus, damals, als die Nationalsozialisten 1933 das Bauhaus in Dessau schließen? Natürlich nicht! Viele Künstler emigrieren. Sie bauen unter anderem in Chicago und Tel Aviv Häuser, die auch Deutschland gut zu Gesicht gestanden hätten – und sie machen das Bauhaus weltberühmt. Aber nicht nur im Ausland, auch in Deutschland lebt das Bauhaus weiter, wenn auch erst nach 1945. Und zwar in Ulm. Dort wird 1953 die Hochschule für Gestaltung (HfG) gegründet, die als die bedeutendste neu gegründete Design-Hochschule nach dem Bauhaus gilt.
Auf dem von dem Schweizer Max Bill entworfenen sehenswerten Campus, den Walter Gropius einweiht, experimentieren die Studierenden in den Bereichen Grafikdesign, Produktgestaltung, Architektur und Film. Eine Ausstellung in dem Gebäude erzählt die Geschichte der Hochschule, die nur bis 1968 besteht. Man trifft dort einmal mehr auf bekanntes Design: auf den Lufthansa-Kranich etwa oder das Stapelgeschirr. Aber die HfG hat noch etwas viel Wichtigeres mit dem Bauhaus gemeinsam: ihren politischen Anspruch.
Wir sahen immer wieder, dass wichtige Anliegen der Gegenwart einfach nicht bearbeitet sind.“
Museumsleiter Martin Mäntele nennt es den „antifaschistischen Gründungsimpuls“. Denn eine der Initiatorinnen ist Inge Aicher-Scholl, die Schwester von Hans und Sophie Scholl. Und Max Bill verkündet damals: „Die gesamte Tätigkeit an der Hochschule ist darauf gerichtet, am Aufbau einer neuen Kultur mitzuarbeiten.“
Mehr zum Bauhaus in Baden-Württemberg unter
www.tourismus-bw.de/kultur
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